"Auf den medizinische Workflow kommt es an"

Herr Dormann, was leistet Ihre Notaufnahme? 

Die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Fürth versorgt jährlich mehr als 50.000 Patienten, die Hälfte zur stationären Weiterbehandlung. Die Notfälle reichen von Polytrauma und Reanimation bis zur Bagatellgeschichte. Der hohe Patientenumsatz macht einen optimalen Workflow entscheidend – für die Behandlungseffizienz vor allem bei zeitkritischen Erkrankungen, sowie insgesamt einen zügigen Behandlungsprozess – schließlich wird hieran auch die Servicequalität einer Notaufnahme gemessen.

Welche Neuausrichtung hat Ihnen bei der effizienteren Prozessgestaltung geholfen? 

Zum Einen das Visualisierungskonzept, das es ermöglicht die 28 Behandlungsplätze nebst Patienten in den Warteräumen transparent darzustellen und uns als ePortal einen ubiquitären Zugriff auf Patientendaten und Behandlungsstatus erlaubt. Pflegende und Ärzte wissen nun immer genau, wer als nächstes dran kommt und wo jeder Patient im Prozess steht. Der Patientenfluss wird so optimal am Laufen gehalten.

…und zum Anderen? 

Die Umstrukturierung im Patientenfluss. Normalerweise funktioniert die IT nur, wenn die administrative Patientenaufnahme erfolgt ist und dem Patienten die Fallnummer vorliegt. Erst im Anschluss werden die Patienten dem Fachpersonal vorgestellt und versorgt. Das ist bei uns genau anders herum: Der Erstkontakt des Patienten findet mit dem Fachpersonal der Zentralen Notaufnahme statt, das nach einer Kurzaufnahme direkt die ersten medizinischen Behandlungsschritte einleitet. Viele KIS haben eine zeitfressende Aufnahmeprozedur und den Nachteil, dass schon zum Aufnahmezeitpunkt ausgewählt werden muss, ob ein ambulanter oder stationärer Fall vorliegt – was wir zu Behandlungsbeginn jedoch nicht wissen. Daher haben wir einen medizinisch orientierten Workflow geschaffen und die IT-Struktur einschließlich Raumkonzept und Monitoring daran angepasst.

Welche IT-Lösung setzen Sie ein?

Momentan ECare, als workflowbasierte Notaufnahme-Softwarelösung für die strukturierte Erstsichtung und zur automatischen Dokumentation in der elektronischen Patientenakte zum Verlegungszeitpunkt. Indem wir die Befunddaten mit dem KIS verbinden, gewährleisten wir den weiter behandelnden Ärzten transparente Information über die bei uns erhobenen Daten. Die Prozessumstellung hat bei uns zwei Jahre gedauert. An den optimierten Prozess haben wir dann die IT-Struktur adaptiert – aus meiner Sicht ein wesentlicher Schritt, damit IT echte Hilfestellung leisten kann.

Warum hat sich die strukturierte Erstsichtung noch nicht an den Notaufnahmen anderer Häuser durchgesetzt?

Immer mehr Notaufnahmen in Deutschland setzen die strukturierte Erstsichtung um, die internationaler Standard und ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist. Auf Grund ihrer IT-Möglichkeiten können viele Kliniken diese jedoch nicht konsequent vor der administrativen Aufnahme umsetzen, da sind wir sicherlich ein Vorreiter. Eine Notaufnahme muss heute in der Lage sein, die medizinische Behandlung im akuten Notfall vorzuziehen und die notwendigen Dokumentationsschritte erst im zweiten Schritt zu unternehmen. KIS-Hersteller sollten die Anwender deshalb nicht auf ein einziges Erstsichtungskonzept beschränken, sondern eine Plattform zur userdefinierten Auswahl bieten.

Was war Ihnen als Chefarzt vor der Umstrukturierung wichtig, was fällt im Echtbetrieb auf?

Positiv ist die Arbeitszeitersparnis. Beim Personal ist keine Überzeugungsarbeit mehr nötig, die Softwareanwendungen konsequent zu nutzen – aus meiner Sicht der beste Rückkopplungseffekt. Im Vorfeld war mir wichtig, dass die Ärzte an den verschiedenen Behandlungsplätzen patientennah und -zugewandt elektronisch dokumentieren können. Beispiel: Wir kehren dem Patienten nicht länger den Rücken zu oder verlassen gar den Raum. Stattdessen integrieren wir den Patienten über das Monitoring am Patientenbett. Als Arzt habe ich keinen Zeitverlust mehr und der Patient fühlt sich angenommen.

Ärzte, IT und Management – wie war das Zusammenspiel bei der Projektrealisierung?

Entscheidend war das medizinische Anforderungsprofil, das Ärzte- und Pflegeleitung gemeinsam erstellt haben. Mit Geschäftsführung und Betriebsmanagement haben wir die Vorteile und Synergien für das Haus ausgearbeitet als Basis für die Umsetzung durch die IT. Die Kommunikation hat sehr gut funktioniert. Voraussetzung dafür ist aus meiner Sicht, dass die Anforderungen auf fachlicher Ebene klar definiert sind. Arbeitszeit und Personal sind für Kliniken doch der höchste Kostenfaktor, entsprechend wertvoll ist jeder Prozess, der zu einer Beschleunigung führt.

Welche Rolle spielt Patientensicherheit beim neuen IT-Konzept?

In der Notaufnahme sind wir zum Behandlungszeitpunkt oft mit Wissenslücken zur Patientenhistorie und Medikamentenanamnese konfrontiert. Dennoch müssen wir teils ad hoc Therapieentscheidungen treffen. IT-Lösungen sollten daher fach- und sektorübergreifend konzipiert sein und eine digitale Kommunikation zwischen der ambulanten und stationären Versorgung ermöglichen. In Fürth haben wir u.a. ein Forschungsprojekt zum digitalen Medikationsplan realisiert und schaffen derzeit die Infrastruktur zwischen Klinikum und Niedergelassenen, um digital in Echtzeit Medikationspläne und Diagnosen austauschen können. So erhalten wir ein vollständigeres Patientenbild und können Notfalltherapien sicherer durchführen. Außerdem haben wir ein System für Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) mit 4-stufigem Sicherheitskonzept integriert. Im Workflow holen wir den Arzt ohne medialen Bruch bei seinem Wissensstand ab und versorgen ihn mit den relevanten Informationen – jedoch ohne Überalarmierung mit häufig sinnlosen Interaktions-Checks.

Inwiefern ist IT mehr als ein Kostentreiber im Krankenhaus? 

IT ist nicht pauschal ein Kostentreiber. Aus meiner Sicht hängt alles von der Optimierung der Prozesse ab – auch ohne IT. Hauptkostentreiber sind Personalaufwand und ineffiziente Abläufe. Sind die Prozesse intakt, kann die IT dazu beitragen, Abläufe zu beschleunigen. Insellösungen sind häufige Kostentreiber, weil sie nicht optimal in den Prozess integrierbar sind. Hier müssen wir an die Hersteller appellieren, die Schnittstellen aus zum Teil unternehmenspolitischen Gründen nicht freigeben. Diese Abhängigkeit ist ein Problem. Zu Gunsten der Patientensicherheit wäre eine neutrale Plattform wünschenswert, die sich für einzelne Subsysteme öffnet – denn es gibt durchaus hochspezifische Subsysteme, die die Basisanwendung sinnvoll ergänzen. Kein KIS-Hersteller kann in jedem Fachbereich Marktführer sein, dafür ist die moderne Medizin viel zu komplex. Notaufnahmen brauchen heute eine sektorübergreifende Kommunikationsplattform, die Praxisverwaltungssoftware mit dem KIS und Notarzt-Rettungsdienstprotokolle mit der ePA vernetzt.

Interview: Anna Engberg